Ein Interview mit Nadine Kloppenburg-Fahl

Was macht eigentlich eine Fachkraft für den gerontopsychiatrischen Bereich?

Nadine Kloppenburg-Fahl ist 28 Jahre alt und eine der zwei Pflegefachkräfte für Gerontopsychiatrie in der AWO Residenz Sehnde. Gemeinsam mit den anderen Pfleger*innen betreut sie hier auf Wohnbereich 1 Menschen, die eine Demenz oder andere psychische Krankheiten haben. Im Interview erzählt sie von ihren Tätigkeiten, von dem was sie antreibt sowie von Herausforderungen und besonderen Moment.

Wie sind Sie zur AWO gekommen?

Ich habe 2009 ein FSJ bei der AWO gemacht, weil ich damals mit 17 Jahren noch zu jung für eine Ausbildung war. Nach dem FSJ habe ich dann die dreijährige Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege bei einem Krankenhaus in Hannover, dem Henriettenstift begonnen. Dort habe ich dann ein halbes Jahr gearbeitet, bevor ich wieder zurück zur AWO gegangen bin.

Warum sind Sie wieder zurückgekehrt?

Die Ausbildung im Henriettenstift hat mir zwar sehr gut gefallen, aber die AWO ist mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Das FSJ hat mir so gut gefallen und ich habe mich dort sehr wohlgefühlt. Auch während meiner Ausbildung habe ich die Residenz in Sehnde immer wieder besucht.

Worin unterscheidet sich die Arbeit in einem Krankenhaus wie dem Henriettenstift von der Arbeit in einer Pflegeinrichtung wie der AWO Residenz Sehnde?

Als ich zur AWO gewechselt bin, bin ich von der Krankenpflege in die Altenpflege gewechselt. In der Altenpflege haben wir Pflegegrade, die es möglich machen, unser Personal selbst anzupassen. Wenn alle Bewohner*innen gut eingestellt sind, können wir unseren Personalschlüssel darauf aufbauen.

Um Fachkraft für den gerontopsychiatrischen Bereich zu werden, ist es nötig eine Weiterbildung zu absolvieren – Wie sind Sie darauf aufmerksam gekommen?

2014 bin ich nach einem Jahr in der AWO Residenz Sehnde auf den gerontopsychiatrischen Bereich gewechselt. Irgendwann kam Frau Reisener, die Einrichtungsleitung, auf mich zu und bot mir ebendiese Weiterbildung an. Ich hatte Interesse daran und habe zugesagt. Nebenbei habe ich weiterhin meine Wochenstunden in der Einrichtung gearbeitet. Einmal im Monat hatte ich eine Woche Schule, dafür wurde ich von der AWO freigestellt. Die Weiterbildung dauerte ein Jahr und ich habe meine 2018 beendet.

Welche Menschen betreuen Sie auf dem gerontopsychiatrischen Bereich?

Alle Bewohner*innen die bei uns sind, haben eine diagnostizierte Demenz – da muss man natürlich differenzieren. Es gibt viele verschiedene Arten von Demenz (Alzheimer, vaskuläre Demenz …), die sich auch in ihren Symptomen unterscheiden oder wie der*die Bewohner*in sich verhält. Manche Bewohner*innen haben auch Depressionen oder Persönlichkeitsveränderungen wie Schizophrenie.

Die meisten unserer Bewohner*innen kommen aus den anderen Wohnbereichen der Einrichtung. Dort leben Menschen mit einer leichten Demenz. In einer Bettenbelegungsrunde setzen sich die Pflegeleitungen zusammen, schauen, welche Zimmer frei sind, reden mit den Angehörigen und entscheiden dann in Absprache, welche Bewohner*innen verlegt werden sollten. Oft ist das der Fall, wenn die Demenz stark zugenommen hat oder der Zustand sich in anderer Weise so verändert hat, dass sie nun gerontopsychiatrische Pflege benötigen.

Auf ihrem Bereich arbeiten Sie morgen zu viert und abends zu dritt – Bei welchen Aspekten Ihrer Arbeit ist es besonders wichtig ein Team im Rücken zu haben mit dem man sich auch mal absprechen kann?

Gerade bei Bewohner*innen mit gerontopsychiatrischen Erkrankungen ist das sehr hilfreich. Es gibt Bewohner*innen, da stimmt an manchen Tagen einfach die Chemie nicht und man kann nicht zusammenarbeiten. Da finde ich es schon wichtig, dass es ein Team gibt, mit dem man sich gut absprechen kann und im Zweifelsfall auch mal sagen kann „Du, ich hatte diesen Bewohner jetzt 5 Tage, das wird mir zu anstrengend. Kannst du ihn einmal übernehmen?“ So kann man dann auch einmal eine Pause zwischendurch machen.

Was gehört alles neben den grundpflegerischen Tätigkeiten zu den Aufgaben einer Pflegefachkraft auf dem gerontopsychiatrischen Bereich?

Am Vormittag machen wir zum Beispiel die Telefonate mit den Ärzt*innen und die Alltagsbegleitung kümmert sich um Angebote für die Bewohner*innen. Wenn mal ein ruhiger Tag ist, dann fordern uns die Bewohner*innen auch manchmal auf mitzumachen, aber eigentlich sind wir da nicht eingeplant. Wir begleiten die Ärzt*innen auf die Visiten, unterstützen die Bewohner*innen bei den Mahlzeiten und mobilisieren sie. Wir versuchen immer ihnen die Hilfestellung zu geben, die sie benötigen.

Es sind aber nicht nur die alltäglichen Arbeiten. Wir haben eine Qualitätszirkel, in dem wir uns besprechen und uns Sachen überlegen, die den Bewohner*innen vielleicht gut tun könnten. In der AWO kann man auch gut seine eigene Note einbringen. Frau Reisener, die Einrichtungsleitung und Herr Brossman, die Pflegedienstleitung, hören auch gut zu, auch wenn man verrückte Ideen hat.

Das 2,7kg schwere Nackenkissen hat bei einer Bewohnerin schon wahre Wunder vollbracht.

Sanddecken und -kissen sind Bestandteile der Beluga-Sandtherapie, die Nadine Kloppenburg-Fahl im letzten Jahr entdeckt hat.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dieser Hund enthält einen vibrierenden Stab, der beruhigend wirkt.

Auch die Sandkissen können sehr entspannend sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Welche Herausforderungen gibt es bei Ihrer Arbeit?

Zum einen die Situation in der Politik: Alle beschweren sich darüber, dass die Pflege nicht anerkannt wird. Da stehe ich ein bisschen dazu, aber ich sage auch, man muss stolz darauf sein, was man tut. Wenn einer meint, dass mein Job das nicht wert ist, dann kann ich ihm auch meine Meinung dazu sagen. Dieses Thema betrifft irgendwann jede*n. Jeder*jede liegt irgendwann mal im Krankenhaus oder hat einen Angehörigen, den es betrifft. Deswegen ist dieses Thema so immens wichtig und deswegen finde ich es auch traurig, dass wir trotzdem so wenig Anerkennung bekommen. Es sind so aber auch die täglichen Herausforderungen, die anstrengen können. Wie ist der*die Bewohner*in heute drauf? Wer bin ich heute?

Wie meinen Sie das?

Bei uns ist jeder Tag anders: ich kann heute die Tochter einer demenzkranken Bewohnerin sein und morgen, die Nachbarin, die sie damals überhaupt nicht leiden konnte. Sich auf die individuelle Situation einzustellen ist schon anspruchsvoll. Wenn ich durch die Tür zum Wohnbereich gehe, dann bin ich eine Pflegekraft und dann muss ich versuchen, das was die Bewohner*innen zu mir sagen, nicht persönlich zu nehmen. Man muss sich denken: „Das geht gerade nicht gegen mich persönlich, sondern ich bin wahrscheinlich gerade in ihrer Welt jemand, den sie nicht bei sich haben möchte“. Man darf nicht nachtragend sein.

Wie gut klappt denn die emotionale Abgrenzung zu den Bewohner*innen?

Wenn Bewohner*innen einen Demenzschub bekommen und es ihnen auf einmal viel schlechter geht, tut das einem natürlich auch weh. Ich bin sowieso ein sehr sensibler Mensch. Wenn ich aus einem Zimmer rausgehen und dann etwas vergessen habe und noch mal hineingehe, dann haben manche Bewohner*innen mich schon wieder vergessen. Man ist nur in diesem einen Moment für sie da.

Welche Eigenschaften muss man ihrer Meinung nach mitbringen, um im gerontopsychiatrischen Bereich zu arbeiten?

Man muss sich auf Dinge einlassen können, offen sein und man muss bereit sein, dass jeder Tag einfach anders sein kann. Flexibel arbeiten zu können ist außerdem wichtig – Ich habe zwar einen groben Plan, wie ich die Bewohner*innen versorge, aber wenn etwas dazwischenkommt, muss ich da auch schnell abweichen können.

Und was motiviert Sie für Ihre Arbeit?

Mein Auftrag ist es, dass die Bewohner*innen, die ich versorge einmal während meines Diensts lachen sollen. Lachen bewirkt schließlich auch etwas im Körper. Und wenn ich mich da dann einmal zum Narren machen muss, um die zum Lachen zu bringen, dann mache ich das auch. Ich mag einfach alle Bewohner*innen. In dieser negativen Krankheit muss man versuchen auch vieles positiv zu sehen.

Gibt es auch einen besonders schönen Moment, den Sie mit ihrer Arbeit in der AWO Residenz Sehnde verbinden?

Durch meine Weiterbildung habe ich die Beluga-Sandtherapie kennengelernt. Diese Therapie beruht darauf, die Bewohner*innen mit Gewichten zu erden. Zum Beispiel haben wir einen Sandkragen, der 2,7 Kilogramm wiegt und auf die Schulter gelegt werden kann. Bei einer Bewohnerin haben wir den benutzt und das hat eine Zeit lang echt super funktioniert. Die Bewohnerin ist immer wieder aufgestanden, hat sich wieder hingesetzt und ist dann wieder aufgestanden – das ging in einem fort. Sie ließ sich nicht beruhigen. Mit dem Sandkragen hat sie sich entspannt, ist sogar darunter eingeschlafen und hat keine Tablette benötigt.

Das ist ein besonderer Moment für mich, wenn ich eine Tablette nicht geben muss und dem oder der Bewohner*in so die Wirkung ersparen kann. Ich sag immer: Wenn eine Tablette vermieden werden kann, ist das ein Schritt in eine bessere Richtung. Es muss nicht jeden Tag funktionieren, es funktioniert auch nicht jeden Tag, aber wenn es das jeden zweiten Tag tut, ist es doch schon mal besser.